Samstag, 21. Juni 2014

Patumahoe Teil 2 – Kiwis sind eine Wissenschaft oder auch „Master of Class 2“

Nach langer Zeit melde ich mich heute auch mal wieder persönlich zu Wort ;) Nachdem Tanja in letzter Zeit den größten Teil der Schreibarbeit übernommen hat und ich höchstens assistiert habe, wird’s doch echt mal wieder Zeit ;)

Zurück in Patumahoe wurden uns gleich unsere neuen Jobs erklärt, die wir ab der kommenden Woche in der Nachtschicht ausführen sollten. Die Nachtschicht begann am darauffolgenden Abend, die Einarbeitung umfasste also nur einen Tag. Danach war ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt. Mein Job „Class 2“. Eine eigene Maschine nur für mich. Dabei wollte ich doch eigentlich nur einen simplen Job, ohne Stress, ohne Verantwortung. Diese Entscheidung war mir somit abgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber noch keine Ahnung, wie viel Stress dieser Job wirklich mit sich bringen sollte.
Charm Kiwis
Vielleicht sollte ich euch aber zuerst einmal erklären, wie so ein Packhaus eigentlich funktioniert.
Gepackt werden hier im Packhaus fünf verschiedene Kiwi-Sorten. Zwei grüne Sorten, grün ist bei uns in Deutschland auch deutlich häufiger zu bekommen. Zusätzlich gibt es drei goldene Sorten: Gold, Sungold und Charm.

Als erstes müsst ihr es euch als riesige Halle vorstellen, darin befinden sich verschiedene Stationen, die von den Kiwis durchlaufen werden. Als erstes werden sie im sogenannten „Bin-Tip“ aus den großen Holzkisten auf ein Fließband gekippt. Von dort fahren sie als erstes zu den „Gradern“. Diese sortieren die Kiwis aus, die nicht den Ansprüchen an eine Klasse 1-Export-Kiwi genügen. Es gibt eine lange Liste an Mängeln, die dazu führen, dass eine Kiwi nicht mehr exportiert werden kann. Dazu darf euch Tanja später mehr erzählen ;)

Packhaus
Stechuhr - immer schön ein- und ausswipen ;)

Pack-Tisch
Nach dem Sortieren werden die Früchte in zwei Richtungen weiter geschickt. Entweder sie sind Klasse 1, dann werden sie über ein weiteres Fließband zu den Packern geschickt. Dort fallen sie nach Gewicht auf die Packtische, wo sie in verschiedene Boxen verpackt werden.
 Die aussortierten Kiwis fahren in die andere Richtung, gelangen zur sogenannten „Reject Analysis“, d.h. Ausschuss-Analyse. Das ist Tanjas Arbeitsplatz. Hier wird noch einmal kontrolliert, ob die Kiwis richtig aussortiert wurden und aus welchen Gründen dies passiert ist. Danach passieren sie die Class 2-Grader, die den letzten Blick auf die Früchte werfen. Hier werden verrottete, vergammelte Früchte aussortiert und in den Müll befördert. Der Rest geht direkt zu mir – zu Class 2.

Pack-Tische für Class 1-Kiwis

"Kiwi-Rutsche"
Kiwis auf dem Weg zu den Packtischen
...auf dem Fließband...
Kiwi-Boxen für grüne Kiwis ;)
Class 2 bedeutet soviel wie Klasse 2 und somit die Früchte, die nicht in alle Welt exportiert werden können, sondern nur in Neuseeland oder eventuell Australien verkauft werden. Mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass damit kein Geld verdient werden kann, der große Gewinn liegt im Export, weshalb es immer wieder hieß „Ist ja nur Class 2“. Gepackt müssen sie aber trotzdem werden und je nach Grower (= Kiwi-Bauer) variierte die Qualität der Kiwis natürlich stark und somit auch die Anzahl der Früchte, die aussortiert und an meiner Class 2 Maschine gepackt werden mussten.

Bei der Arbeit - ein ruhiger Moment ;)
Manchmal passiert nicht viel, ich komme gut allein zurecht, auch wenn Labels und Palettenkarten gedruckt, alle Kiwis gepackt und die Boxen auf die Paletten gestapelt werden müssen. Nebenher müssen neue Boxen organisiert und vorbereitet werden. Mehr als genug zu tun für eine Person also, oft könnte man locker vier Personen dort beschäftigen.
Von einer Sekunde auf die andere kann sich das Tempo nämlich von langsam zu schnell ändern und dann bist du mittendrin in der Scheiße – entschuldigt meine Ausdrucksweise :) – aber anders kann mans kaum beschreiben. Die Kiwis schießen aus allen Bändern, die Boxen laufen über und allein ist kein Hinterherkommen mehr. Leider wurde Class 2 eben als nicht so wichtig erachtet und auf Hilfe konnte ich somit nicht immer hoffen. Anfangs hat mich das schon gestresst, inzwischen bin ich ja sozusagen ein alter stressresistenter Hase und es interessiert mich nicht mehr wie viele Bänder überlaufen. Bei schlechten Früchten ist es einfach unmöglich den Laden alleine zu schmeißen… Tanja meint ja, ich hätte von Anfang an öfter mal ein bisschen langsamer sein sollen, dann wäre ihnen vielleicht schneller aufgefallen, dass Hilfe nötig ist. Ich bin aber gerannt wie ein Idiot um alles selbst erledigen zu können.

Boxen an der Class 2-Maschine
Tanjas Job lief da um einiges entspannter, aber auch langweiliger, ab. Eigentlich könnte man behaupten, dass ihre Aufgabe eine der einzigen beinahe stressfreien ist. Ich lass sie das mal selbst erklären.

Tanjas Arbeitsplatz in einem sehr ruhigen Moment :)
Mein Job ist die sogenannte Reject Analysis, wie Manu ja schon geschrieben hat. Mein Arbeitsplatz befindet sich leider im letzten Eckchen des Packhauses. Ganz hinten und ganz allein. Ihr könnt euch vorstellen, wie schlimm es hin uns wieder für mich ist mich nicht unterhalten zu können.
Niemand der mit mir redet ;) Ich singe... vielleicht besser als mit mir selbst zu reden. Zum Glück hört mich dahinten ja auch niemand. Außerdem ist es angeblich der einzige Platz im ganzen Packhaus der von den Kameras nicht eingesehen werden kann ;) Es gibt dementsprechend auch keine Fotos von mir bei der Arbeit. Ich glaube, zu Beginn der Saison wussten die wenigsten Menschen im Packhaus, dass es mich und meinen Job überhaupt gibt. Die Besucherrate war also auch nicht all zu hoch ;)




Ich kontrolliere zum einen die Grader, ob diese die richtigen Grading-Standards anwenden, d.h. ob sie genau das aussortieren, was aussortiert werden muss. Finde ich also gute, Class 1, Früchte auf meinem Band muss ich herausfinden wo diese herkommen und den Grading-Supervisor (Aufsichtsperson) darüber informieren. Eine weitere Aufgabe ist das Kontrollieren des sogenannten „Undersize-Belts“… hier werden durch die Maschine automatisch die Kiwis aussortiert, die zu klein zum Packen sind. Regelmäßig muss also gewogen werden, ob das Gewicht immer noch im richtigen Bereich liegt. Sind zu große Kiwis dabei, ist das schlecht, da dieses Fließband direkt und ohne weitere Kontrolle in den Müll läuft. Unterlaufen hier Fehler, können dem Grower (Kiwi-Bauer) große Verluste entstehen. Sollte dies vorkommen, was öfter der Fall war, muss sofort der zuständige „Machine-Operator“ (Maschinenführer) informiert werden. Ebenso, sollten Kiwis auftauchen die frische Löcher oder Schnitte aufweisen, die durch die Maschine verursacht wurden.
Zusätzlich überprüfe ich aus welchen Gründen die Kiwis aussortiert wurden. Dazu nehme ich stündlich mehrere Stichproben und sortiere sie anhand einer Liste. Diese umfasst 35 Gründe, aus denen eine Kiwi keine Export-Kiwi mehr sein darf. Ich sage euch, es ist wirklich schwierig eine perfekte Kiwi zu sein. Die Ergebnisse packe ich in den Computer und erstelle daraus Graphiken, sowie einen Schicht-Bericht. Dies soll den Growern helfen im nächsten Jahr ihren Kiwi-Anbau zu optimieren und Mängel an den Kiwis zu vermeiden. Hier eine Reihe von Beispielen wie sie nicht aussehen dürfen ;)

Niedliche kleine Knubbel sind unerwünscht
Und zwei niedliche kleine Knubbel natürlich erst recht ;)
Unförmig... auch genannt quadratisch ist auch nicht gern gesehen
Auch der Streifenlook ist nicht im Export-Trend
Po-Form fällt auch unter die Kategorie "Class 2"
Natürlich werden auch noch jede Menge andere Aufgaben nötig bis so eine Palette Kiwis nach Übersee verschifft werden kann. Es gibt noch das sogenannte „Tray Prep“, dort werden die Boxen für das Packen vorbereitet. Meistens geht es dort ziemlich flott zu und man ist eigentlich immer im Stress.


Tray Prep Bereich
Annett beim Tray Prep
Des weiteren gibt es viele Mitarbeiter im QC – Quality Control, die sich durch ständige Tests und Checks darum kümmern, dass alle Früchte den Qualitätsstandards entsprechen. Mechaniker, Maschinenführer, Gabelstaplerfahrer, undundund…

Manu, Sabine und Richard bei der ?Arbeit? :D
Besprechung vor Schichtbeginn
Wir könnten noch stundenlang über die Abläufe im Packhaus erzählen, das würde aber vermutlich komplett den Rahmen sprengen, da man sich das natürlich auch schlecht vorstellen kann, ohne jemals zuvor ein Packhaus von innen gesehen zu haben. Hoffentlich konnten wir euch trotzdem einen kleinen Einblick vermitteln.

Insgesamt passieren die lustigsten Geschichte aber vermutlich neben dem normalen Packhaus-Alltag.
Mehrere Male bekam ich Besuch von einem niedlichen kleinen Opossum. Dieses ist in einem Packhaus in dem mit Lebensmitteln hantiert wird und Hygiene extrem wichtig ist, natürlich nicht gerne gesehen. Es saß grade mal einen Meter weg von mir auf der Treppe und hat mich angeschaut, bevor Karl mit einem Besen kam und versucht hat es zu erschlagen :( Leider war es nicht möglich ein Foto zu machen, dafür war es dann doch zu flink. Außerdem hat man beim Arbeiten ja auch nicht immer die Kamera parat. Ich habe es in dieser einen Nacht mehrmals gesehen, aber auch danach muss es mir immer wieder einen Besuch abgestattet haben. Deutlich erkennbar an den Hinterlassenschaften. Ich hab doch noch versucht es vor dem Besen zu retten und dafür kackt es mir auf meinen Schreibtisch – das ist wahre Dankbarkeit :D
Zwei Nächte lang war es richtig kalt und hatte mit Temperaturen unter Null sogar Frost. Damit die Kiwis nicht erfrieren wird einfach ein Hubschrauber gemietet, der die ganze Nacht über die Pflanzen fliegt und diese mit warmer Luft bepustet ;) was es nicht alles gibt.

Anti-Frost-Helikopter
Einmal musste das gesamte Packhaus gestoppt werden, weil jemand ein Messer verloren hatte und dieses von oben in die Maschine gefallen war.
Solche und andere Vorfälle machen den Arbeitsalltag, der ansonsten immer der gleiche ist, wesentlicher interessanter und spaßiger und sorgen für Abwechslung.

Die Nachtschicht war super für uns. Wir hatten ja beide vorher noch nie Nachtschicht gearbeitet und waren gespannt, wie das mit der Anpassung so funktionieren würde. Die Schicht ging von 17.55 Uhr bis 3.30 Uhr. Bis wir im Bett waren war es aber meistens auch schon zwischen 5.00 und 7.00 Uhr morgens, dafür standen wir erst gegen 13.00 oder 14.00 Uhr wieder auf.
Inzwischen war unsere Backpacker-Truppe von anfänglich 7 Leuten auf fast 30 angestiegen. Wir wohnten an drei Orten. Hier, direkt am Packhaus, in Kingseat in einem stillgelegten Krankenhaus und in Waiuku auf einem Campingplatz.
So kamen in der zweiten Nachtschicht-Woche auch Annett und Christian zum Arbeiten zu uns ins Packhaus, da sie aufgrund des schlechten Wetters in Tauranga längere Zeit nicht arbeiten konnten. Zusammen mit ihnen und Vicky und Richard, die etwas später in der Nachtschicht angefangen hatten, verbrachten wir die meiste Zeit.

Manu mit Simon - unserem Nachtschicht-Chef
Nach 7 Wochen endete die Nachtschicht mit einer kleinen Party und einem gemeinsamen Essen.
Aus Tag- und Nachtschicht wurden die angeblich besten Mitarbeiter ausgewählt und eine neue Tagschicht gebildet. Teil dieser sind natürlich auch wir – ich hoffe, es ist jetzt keiner überrascht, natürlich gehören wir zu den besten! ;)
Die Nachtschicht hat uns aber deutlich besser gefallen. Die Kollegen waren super und das Arbeitsklima deutlich entspannter, was größtenteils vermutlich an Simon, unserem Nachtschicht-Manager lag, der immer alles unter Kontrolle hatte. Locker und ohne Stress. So haben alle gut zusammen gearbeitet, was die Nächte wirklich angenehm machte. Wir sind ein bunter Haufen aus Neuseeländern, Maoris, Backpackern (Deutschland, Frankreich, Tschechien, Argentinien etc.) und Islandern aus der Südsee. Diese kommen größtenteils aus Vanuatu, Tonga oder Samoa.

Jackson (Vanuatu) und Richard (Deutschland)
Nach der letzten Nachtschicht
Jakub und Martina
Nach der letzten Nachtschicht
Seitdem es die neue Tagschicht gibt wird nur noch fünf Tage die Woche gearbeitet. Manchmal war es doch etwas ärgerlich, in letzter Zeit ging öfter die Arbeit quasi komplett aus. Teils weil Früchte noch nicht reif genug zum Packen waren oder die Maschine einfach beschlossen hatte, nicht mehr funktionieren zu wollen.

Deshalb bekamen wir andere mehr oder weniger spaßige Aufgaben. Die Jungs durften sich meistens mit Hi-Cubing beschäftigen, d.h. die Paletten noch um zwei Boxenreihen höher machen oder aus mehreren Paletten eine machen, um Platz im Kühlhaus zu schaffen. Die Mädels hatten entweder frei, was uns gar nicht passte, oder durften putzen, Sticker von der Maschine abfummeln oder „repacken“. Manche bereits gepackten Boxen müssen nochmals geöffnet und umgepackt werden, wenn sie länger im Kühlhaus gelagert wurden. Drei Tage verbrachten wir auch damit Vliesmatten um kleine Blaubeerpflanzen zu legen, damit kein Unkraut mehr wachsen kann. Alles in allem also eher unspektakuläre Arbeiten, aber egal. Hauptsache Arbeit! ;)
Außen- und Raucherbereich

Insgesamt haben wir es richtig gut getroffen mit diesem Job. Wir konnten jede Menge Geld sparen und hatten die meiste Zeit auch Spaß und haben viele neue, tolle Menschen kennengelernt.
Jetzt haben wir noch genau eine Woche Arbeit vor uns, bevor es eeeendlich weiter geht. Darauf freuen wir uns sehr. Irgendwann reichts ja auch wirklich wieder mit den Kiwis.

So viel mal zum Arbeiten. Natürlich haben wir aber auch immer versucht in unserer Freizeit wenigstens ein bisschen was zu unternehmen. Außerdem bedeutet das Zusammenleben mit so vielen Menschen automatisch auch jede Menge Spaß und Partys. Einen Grund zum Feiern findet man ja schließlich immer. Dazu aber mehr im nächsten Bericht.

Danke an Richard, Vicky und Annett für eure Fotos. ;)

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